Die Priesterin der Kelten. Historischer Roman (German Edition) by Sabine Altenburg

Die Priesterin der Kelten. Historischer Roman (German Edition) by Sabine Altenburg

Autor:Sabine Altenburg [Altenburg, Sabine]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-09T04:00:00+00:00


Kapitel 12

Jede einzelne der Visionen, die Hannah während ihrer Meditationen durchlebte, hatte sie auf besondere Weise berührt. Alle hatten sie anschließend noch lange beschäftigt, immer wieder waren Bilder vor ihrem inneren Auge vorübergezogen, hatten Sätze in ihr nachgeklungen, waren plötzlich Gefühle in ihr aufgestiegen, die mit dem Erlebten in Zusammenhang standen. In besonderer Weise hatte die Schlacht um das Winterlager sie bewegt, die mit der Vernichtung des römischen Heeres in der Wolfsschlucht geendet hatte und deren beispiellos grausame Bilder sie tagsüber plötzlich aus heiterem Himmel überfielen und nachts durch ihre Träume geisterten.

Doch keine der bisherigen Visionen hatte Hannah so aufgewühlt, so durch und durch erschüttert zurückgelassen wie die, deren Zeugin sie soeben geworden war. Amenas furchtbare Gewißheit, daß die Götter ihren Stamm im Stich gelassen hatten, der unwiederbringliche Verlust ihres Weltbildes, all dessen, woran sie geglaubt und im Vertrauen worauf sie erzogen und zwanzig Jahre lang zur Priesterin ausgebildet worden war, und die tiefe existentielle Verunsicherung, die aus ihrer Erkenntnis resultierten, durchdrangen auch Hannah bis in die feinsten Verästelungen ihres Wesens und ließen sie nachempfinden, wie verlassen sich Amena mit einemmal fühlen mußte und wie – betrogen.

Und das war noch nicht alles. Sie bewunderte Amenas Mut, sich dieser schrecklichen Wahrheit zu stellen, die Entschlossenheit, mit der sie sich ihr geöffnet hatte, weil sie es als ihre Pflicht ansah, Ambiorix seine Entscheidung im vollen Bewußtsein dieser Erkenntnis treffen zu lassen. Und mit Amena trauerte sie über Ambiorix´ Unverständnis, seine Weigerung, ihr zu glauben, und seine tiefe Enttäuschung darüber, daß Amena ihn scheinbar im Stich gelassen hatte.

Auch Hannah mußte während der Meditation geweint haben, denn als sie nun wieder zu sich kam, fühlte sie die Feuchtigkeit der Tränen auf ihren Wangen, und sie war erfüllt von einem tiefen Gefühl des Verlustes und der Hoffnungslosigkeit, das kaum umfassender und intensiver hätte sein können, wenn ihr eigenes Schicksal auf dem Spiel gestanden hätte.

Wie jedes Mal hatte Hannah keine Ahnung, wieviel Zeit während dieser letzten Meditation verstrichen war. Vor den Fenstern des Wohnraums war es dämmrig, und einen Moment lang wußte sie nicht, ob es die Morgen- oder die Abenddämmerung war. Benommen warf sie einen Blick zur Uhr auf dem Kaminsims: bald sieben! Fast zwei Stunden waren vergangen, seit sie gegen fünf aus einem Alptraum hochgeschreckt war, in dem sich Bilder von verstümmelten und gräßlich zugerichteten menschlichen Körpern aneinanderreihten, ganz offensichtlich ein Nachhall der Kämpfe in der Wolfsschlucht, die sie so tief erschüttert hatten.

Schlaflos hatte sie anschließend auf dem Rücken gelegen, auf Rutgers ruhigen, gleichmäßigen Atem neben ihr gelauscht, und ihre Gedanken waren zurückgewandert zu ihrer jüngsten Entdeckung. Der gläserne Armreif, den Hannah im Wurzelwerk der Eibe ertastet und behutsam freigelegt hatte, war der unwiderlegbare Beweis dafür, daß es sich bei dieser Stelle tatsächlich um das Quellheiligtum der Eburonen handelte.

Rutger war überzeugt, daß man bei einer Ausgrabung zu Füßen dieser Eibe noch mehr Opfergaben zu Tage fördern würde, doch kaum hatte er diese Äußerung von sich gegeben, bereute er sie auch schon wieder, denn augenblicklich mußte er Hannah in den Arm fallen, die schon zum Spaten gegriffen hatte, um direkt einmal „nachzuschauen“.



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